Angst des Pferdes + Angst des Reiters = (Angst von Pferd + Reiter)²
Überlegungen zum Thema „Angst“ – (nicht) nur für ängstliche Reiter
Praktisch zum Quadrat erhöht sich der „Angstpegel“ bei beiden Beteiligten, wenn ein ängstlicher Reiter auf ein unsicheres, ängstliches Pferd zu sitzen kommt. Vom leicht mulmigen Gefühl, solange sich das Pferd noch manierlich im Schritt bewegt, bis zu Panikattacken schraubt sich der mentale Zustand des Reiters hoch, sobald das verunsicherte Pferd seinerseits seiner Furcht nachgibt und sein Heil in der Flucht sucht und durchgeht. Womit wir auch schon bei der wirklich unangenehmen Situation angelangt sind.
Was ist also zu tun, damit es erst gar nicht so weit kommt?
Nie wieder aufs Pferd steigen? Eine weniger gefährliche Sportart suchen? Nur wenige schaffen diese rigorose Lösung. Dazu ist den meisten das Interesse und die Freude am Kontakt zu Pferden einfach zu wichtig. Mancher kommt vielleicht auch auf die Idee, dass mit einem anderen Pferd alles ganz anders wäre. Könnte durchaus sein, dass es mit einem ruhigeren, erfahreneren Pferd vorübergehend besser klappt. Doch solange du selbst deine eigenen Ängste nicht abgebaut hast, hättest du binnen kurz oder lang sicher wieder die gleichen Probleme. Das neue Pferd würde dich ebenso rasch durchschaut haben, wie das vorige und sehr rasch festgestellt haben, dass es in dir keinen vertrauenswürdigen Begleiter hat und somit auf sich selbst gestellt ist. Mach nicht die Pferde dafür verantwortlich, wenn du dich fürchtest und nimm es den Pferden nicht übel, wenn sie sich wie solche, ihrer Natur und ihren Instinkten entsprechend verhalten. Es liegt allein an dir, deine Ängste in den Griff zu bekommen und für dein Pferd ein verlässlicher Partner zu werden.
Versuchen wir also Wege und Lösungen zu einer harmonischen, angstfreien Partnerschaft mit dem Pferd zu finden. Grundsätzlich solltest du dir als reitwilliger Mensch über das Lebewesen, auf dessen Rücken du sitzen möchtest, Gedanken machen und dich informieren, wie ein Pferd denkt und fühlt. Es gibt reichlich Literatur zu diesem Thema und du bist hoffentlich dazu bereit zumindest einiges davon auch zu lesen. Lass dich von erfahrenen Pferdeleuten beraten, was sie dir empfehlen können – vielleicht gleich dort, wo du gerne deine Trainingsstunden absolvieren möchtest. Wird dir gesagt, dass du all das Bücherwissen sowieso vergessen kannst, weil nur die Praxis zählt, suche nach einem anderen Trainingsstall. Natürlich sind nicht alle Tips und Ratschläge, die zu Papier gebracht wurden, auf jede Situation passend in die Realität umzusetzen. Schließlich gibt jeder Autor seine eigenen Ansichten und seinen persönlichen Erfahrungsschatz weiter und die Umstände, die ihn zu seiner Meinung gebracht haben, müssen sich nicht unbedingt mit deiner jetzigen Situation decken. Es gibt aber viele Bücher und Artikel verschiedener Pferdeleute und Verhaltensforscher, die dir ein gewisses Grundverständnis für die Psyche des Pferdes vermitteln können. Dein damit erworbenes Wissen sollte dir helfen, manche Situationen, die du mit Pferden erleben könntest, besser zu verstehen und dadurch auch besser zu überstehen.
Das Pferd, als Herden- und Fluchttier
ist nun einmal so „programmiert“, dass es ohne Leittier, dem es bedingungslos vertrauen kann, in gefährlichen Situationen zuerst einmal Abstand zwischen sich und die vermeintliche Gefahr bringen muss. Ohne Leittier ist es für seine Sicherheit, sein Leben, ganz allein verantwortlich und zögert auch nicht, diese Verantwortung zu übernehmen, indem es sich in Sicherheit bringt. Nach einer gewissen Distanz, die je nach Charakter des Pferdes und dem Maße seines Erschreckens, sehr unterschiedlich sein kann, hält es an und überprüft, ob der Abstand zwischen sich und der Gefahr groß genug ist und es sich wieder entspannen kann, oder ob es verfolgt wird und noch weiter flüchten muss. Nur durch dieses Verhalten konnten die Pferde über Jahrmillionen ihr Überleben sichern.
Ist es allerdings mit einem Partner, Pferd oder Mensch, unterwegs, dem es vertraut und von dessen Führungsqualitäten es überzeugt ist, so wird es sich bei Unsicherheiten an dessen Verhalten orientieren. Es wartet ab, wie der verlässliche Partner reagiert und schließt sich vertrauensvoll dieser Meinung an. Falls nun der Reiter selbst durch irgendetwas erschrickt oder etwas sieht, wovor er meint, dass sich sein Pferd fürchten müsste, oder auch nur durch ein Zusammenzucken seines Pferdes aus der Fassung gebracht wird, vermittelt er selbst seinem Pferd dass es sich in einer gefährlichen Situation befindet und verursacht damit selbst, dass es sich zur Flucht entschließt. Du kannst davon ausgehen, dass es auf die, sich nun wahrscheinlich auch noch anklammernde, Last auf seinem Rücken keinerlei Rücksicht nehmen kann. Es ist, ohne sicheres Leittier schutzlos der Gefahr ausgeliefert und sorgt somit für Distanz. Im offenen Gelände ist das ganze nicht wirklich problematisch. Im Wald, auf verkehrsreichen Straßen oder in verbautem Gebiet sieht die Sache etwas anders aus. Klammerst du dich, vielleicht sogar mit Sporen, nun noch mehr fest und ziehst dazu noch mit all deiner Kraft an beiden Zügeln, kommt der Schmerz, den du deinem Pferd zufügst, zu seiner Angst noch hinzu und es will sich klarerweise noch dringender aus dieser äußerst unangenehmen Situation befreien.
Was du, als Reiter tun kannst,
ist, die Kontrolle über deinen eigenen Körper zu erlangen, bevor du erwarten kannst, die Kontrolle über den Körper deines Pferdes zu erhalten. Versuche immer wieder deine Muskulatur bewusst zu entspannen, und zwar nicht nur die deiner Beine und deines Gesäßes. Dein Pferd fühlt, trotz Sattel, jede Verspannung oder Verkrampfung deines Körpers. Selbst dein starrer Blick auf etwas, wovor du meinst, dass dein Pferd sich schrecken könnte, wird von deinem Pferd registriert. Es reicht, deinen Blick kurz auf die „pferdeerschreckenden Dinge“ zu werfen und du weißt genau, dass sie dein Pferd nicht „anspringen“ werden. Dein vielleicht unerfahrenes, unsicheres Pferd weiß das nicht. Konzentriere dich auf deinen weiteren Weg und lass dich, möglichst locker im Sattel sitzend, von deinem Pferd an der unangenehmen Stelle vorbeitragen.
Schaffst du es nicht, in allen Teilen deines Körpers locker und entspannt zu bleiben und spürst du wie die Furcht in dir „hochkriecht“ und dadurch auch dein Pferd immer unsicherer wird, ist es besser abzusteigen und die heikle Stelle zu Fuß, das Pferd führend, hinter euch zu bringen. Diese Möglichkeit ist allerdings nur dann empfehlenswert, wenn du deinem Pferd zumindest vom Boden aus vertrauenswürdige Führungsqualität vermitteln kannst. Trifft das nicht zu, solltest du beginnen, eure Beziehung vom Boden aus zu klären. Übungen und Hilfestellung um eure Beziehung zu verbessern gibt es genug. Du wirst dein Pferd besser verstehen lernen und immer früher erkennen, wann und welche Hilfe es braucht, um seinen Fluchtinstinkt zu beherrschen. Sobald es deiner Führungsqualität vom Boden aus vertraut, wird es nicht mehr lange dauern, bis es dir auch Vertrauen entgegenbringt, wenn du auf seinem Rücken sitzt.
Natürlich ist es ebenso notwendig
an deiner Reittechnik zu arbeiten und Trainingsstunden zu absolvieren, um zu lernen, wie du dein Pferd kontrolliert bewegen kannst. Es wird wahrscheinlich nicht ganz leicht sein, aus den unzähligen Möglichkeiten und Trainingsstilen die für dich richtige Methode zu finden. In einem Punkt sind sich jedoch so ziemlich alle Trainer einig: um dein Pferd (auch im Notfall) zu kontrollieren, nimm nur einen Zügel auf, biege es und bemühe dich, deinem „Klammer-Reflex“ so rasch wie möglich entgegenzuwirken. Selbstverständlich solltest du diese Übung, wie auch alle anderen, deinem Pferd bereits in der sicheren Reitbahn beibringen. Denkst du erst daran, wenn es auf freiem Feld, seine Fluchtgedanken bereits in die Tat umsetzt, ist es auf jeden Fall zu spät. Trainiere dein Pferd, einem einseitig angenommenen Zügel nachzugeben und belohne es, indem du den Zügel sofort wieder locker lässt, sobald es nicht mehr dagegen zieht und in dieser gebogenen Stellung ruhig stehen bleibt. Versuche dabei, deinen zentrierten Sitz nicht zu verlieren und entspannt zu bleiben. Diese Bewegung sollte zu deinem Sicherheitsreflex in jeder „Oh mein Gott-Situation“ werden.
Durch regelmäßiges Reiten
wirst du immer besser erkennen können, wie es um dein Pferd psychisch bestellt ist und du wirst immer früher vorherfühlen, was es als nächstes tun wird. Über kleine Unsicherheiten arbeite es drüber hinweg. Oftmals ist Beschäftigung, die beste Ablenkung für das Pferd. Gelingt es dir jedoch nicht mehr, seine Aufmerksamkeit von der vermuteten Gefahr wieder auf dich zu konzentrieren, benütze deinen Kontrollzügel, wie eben beschrieben. Dann wartest du ab, bis dein Pferd gebogen und ruhig stehen bleibt und wieder bereit ist auf dich zu achten. Wiederhole diese Übung sooft, wie es im Moment eben erforderlich ist.
Mitunter eskaliert eine Situation
weil der Reiter zu langsam und zu spät auf die Signale seines Pferdes reagiert. Konzentriere dich daher schon beim Trainieren in der Reitbahn darauf, dass dein Pferd nicht nur die gewünschte Gangart, sondern auch das von dir gewünschte Tempo in der jeweiligen Gangart einhält. Warum sollte es, wenn es dir im Galopp plötzlich zu schnell wird, auf dich achten, wenn du es in den langsameren Gangarten hast gehen lassen, wie es eben gerade wollte? Es war vielleicht schon im Schritt übereilt unterwegs, ist dann womöglich auch ohne Aufforderung deinerseits von sich aus angetrabt, und du hast nichts dagegen unternommen. Somit hast du ihm eindeutig bestätigt, dass du damit einverstanden bist, und es selbst das Tempo bestimmen darf. Jetzt, plötzlich, bist du nicht mehr einverstanden, dass es angaloppiert und davon stürmt? An Inkonsequenz kann sich dein Pferd nicht orientieren und es wird deine Versuche zum Verlangsamen mit ziemlicher Sicherheit ignorieren. Und nun beginnt der Kreislauf mit der Angst aufs neue. Dein Adrenalinspiegel steigt, aus Angst, Hilflosigkeit oder möglicherweise auch aus Wut auf dein dich ignorierendes Pferd, du klammerst dich fest, zerrst an beiden Zügeln,…..
Hättest du deinem Pferd von vornherein klar gemacht, dass es sich auch, was das Tempo betrifft, nach dir richten muss, wäre es nicht so weit gekommen. Gleichmäßiges, kontrolliertes Tempo zu reiten gehört zu den Übungen, die von Pferd und Reiter ziemlich viel Konzentration verlangen und wird leider viel zu oft vernachlässigt.
Falls du wirklich schlimme und schmerzhafte Erfahrungen mit Pferden gemacht hast
und dir diese Erinnerungen immer wieder vor Augen stehen, solltest du versuchen, deine Gedanken nicht ständig um die unerfreulichen Erlebnisse in der Vergangenheit kreisen zu lassen. Ebenso sinnlos ist es, sich ständig auszumalen, was passieren könnte, wenn… (das soll natürlich nicht als Aufforderung zu leichtsinnigen Unternehmungen zu verstehen sein!) Bemühe dich mit deinen Gedanken hier und jetzt, in der Gegenwart zu sein. Dein Pferd ist es auch. Es lebt und denkt in diesem Augenblick und plant niemals irgendwelche Aktivitäten voraus. Freu dich über euer Zusammensein in jedem Augenblick. Wenn du es trotz allem nicht schaffst, deine Ängste abzubauen, könntest du auch versuchen, dir von professioneller, therapeutischer Seite helfen zu lassen. Das mag im Moment vielleicht etwas seltsam klingen. Aber der Einsatz von zum Beispiel Bachblütentherapien, Kinesiologischen Übungen und anderen Energetischen Maßnahmen hat erwiesenermaßen schon vielen Leuten geholfen, mit bewussten oder auch unterbewussten Angstzuständen fertig zu werden.
Wer ängstliche Reiter noch unsicherer macht sind jene Stall- und Reitkollegen, die ständig erzählen, was sie selbst nicht schon alles mit ihren Pferden erlebt und welche Gefahren sie bereits mehr oder weniger gut überstanden haben. Obwohl sie vermutlich nur helfen wollen, machen sie die ganze Situation für die ängstlichen Leute nur noch schlimmer, weil sie diese auf noch mehr Ideen bringen, was nicht noch alles passieren könnte. Sie machen es dem unsicheren Reiter noch schwerer, weil sich die Vorstellung all dieser Schilderungen zusätzlich zu seinen eigenen Ängsten in seinen Gedanken festsetzt. Wenn du solchen Leuten erklärst, was sie eigentlich bewirken, sollten sie dich künftig mit ähnlichen Erzählungen verschonen.
Jedenfalls solltest du alle reiterlichen Übungen zum Abbau deiner und deines Pferdes Ängste im Round Pen oder auf einem kleineren, eingezäunten Reitplatz beginnen. Läuft dort alles zu deiner Zufriedenheit, such dir einen verlässlichen Reitpartner auf einem ausgeglichenen Pferd als Begleitung für deine ersten Ritte in freier Natur. Lass dich, solange du dich unsicher fühlst nicht zu schnelleren Gangarten überreden. Dein Pferd „riecht“ förmlich deine Ängste und damit machst du es ihm nicht gerade leichter, mit der neuen Situation, in der es sich selbst nicht wohl fühlt, fertig zu werden. Sei selbstbewusst genug, zu deinen Bedenken zu stehen und vergiss nicht, dass du damit auch deinem Pferd hilfst.
Der richtige Zeitpunkt
Klappt dann erst einmal der Ausritt in Begleitung und fühlst du dich bei euren gemeinsamen Ritten sicher und wohl, kommt bestimmt bald der Tag, an dem du und dein Pferd auch alleine unterwegs sein könnt. Verlass dich auf dein Gefühl, wann du so weit bist und mach dir bis dahin keinen unnötigen Druck. Solange du emotional nicht so weit bist, lass dir einfach Zeit und warte ab. Irgendwann kommt der für dich und dein Pferd richtige Zeitpunkt.